Ich suchte das Leben und fand nur dich : Roman

Schwaiger, Brigitte, 2000
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Medienart Buch
ISBN 978-3-7844-2768-3
Verfasser Schwaiger, Brigitte Wikipedia
Beteiligte Personen Strigl, Daniela Wikipedia
Systematik 830 - Deutschsprachige Literatur
Verlag Langen Müller
Ort München
Jahr 2000
Umfang 207 S.
Altersbeschränkung keine
Sprache deutsch
Verfasserangabe Brigitte Schwaiger
Annotation Mehr als ein Selbstbekenntnis / Brigitte Schwaigers überraschender Roman Ich muß gestehen, daß ich in den letzten Jahren an Brigitte Schwaiger immer mit einem diffusen Bedauern gedacht habe. »Wie kommt das Salz ins Meer« war mir als markantes Debut in Erinnerung geblieben, doch Schwaiger schien sich irgendwie aus der ernstzunehmenden Literatur verabschiedet zu haben. Trotz etlichen Publikationen war sie im Bewußtsein der literarischen Öffentlichkeit vor allem als gefährdete Existenz verankert, als Prototyp der weiblichen Opfergestalt, der Schmerzensfrau, der an der (Männer-)Welt Zerbrochenen. Zuletzt hatte sie in der Causa Franz Fuchs eine verwirrte und verwirrende Rolle gespielt, sich als Bekannte des Attentäters offenbart und seinem Prozeß kommentierend beigewohnt. Und dann dieser Titel: »Ich suchte das Leben und fand nur dich«. Er bestätigte mein profundes Vorurteil. Das Buch selbst war dann eine Überraschung. Brigitte Schwaiger erzählt darin von ihrer dramatisch traumatischen Ehe mit einem Spanier, die für sie mehr, nämlich Schlimmeres, war als nur eine jugendliche Verirrung. Zum ersten Mal schreibt Schwaiger, der man stets literarische Lebensbewältigung unterstellt hat, dezidiert autobiographisch und macht dabei klar, daß ihr erfolgreicher Erstling eben nicht von ihr gehandelt hat, jedenfalls nicht direkt. Sie habe eine »Situation« skizziert, ein Was-wäre-wenn: wenn sie einen Österreicher geheiratet und in einer oberösterreichischen Provinzstadt gelebt hätte. – »Vielleicht einmal richtigstellen, daß ich nicht meine Lebensgeschichte erzählte, als ich jung war, sondern einen Roman erfand! Daß ich mein Leben noch nicht erzählt habe.« Das Vorhaben eines gewissermaßen negativen Outing scheiterte lange an ihrer Ehrfurcht vor dem eigenen Buch, das ihr den Stempel einer Frau mit Luxusproblemen aufgedrückt hatte. Den Titel habe Jeannie Ebner vorgeschlagen, und sie habe das, widerwillig, doch brav wie immer, akzeptiert: »›Wie kommt das Salz ins Meer‹ erschien mir als ein scheußlicher Titel. Verlogen wie ›Und die Antwort weiß nur der Wind‹.« Nun fragt sich der Leser aber doch, wie das denn dann mit »Ich suchte das Leben und fand nur dich« steht. Oder mit den Titeln von Schwaigers anderen Romanen: »Schönes Licht«, »Tränen beleben den Staub«, »Jaro heißt Frühling«, »Der Mann fürs Leben«, »Der Himmel ist süß«. Lauter schlechte Ratschläge, die die Autorin nicht zurückzuweisen wagte? Jedenfalls deklariert Schwaiger ihre Bücher freimütig als Stilversuche und -imitationen, als ein Durchspielen von Möglichkeiten, Erledigen von Themen, diktiert von dem Drang, um jeden Preis etwas mitzuteilen, anschaulich zu machen, zu unterhalten. Denn nur zu oft habe sie beim Schreiben »›me aburres‹, du langweilst mich« im Ohr gehabt. Damit sind wir wieder bei der Hauptsache, zu der poetologische Überlegung und Selbstkritik bloß den Kontrapunkt bilden. Denn Brigitte Schwaigers »Roman« ist nicht als Nachtrag zur Literaturgeschichte der Zweiten Republik interessant, sondern als Kammerspiel über Terror und Unterwerfung. Luzide und mit disziplinierter Nüchternheit beschreibt die Autorin die an ihr, der kaum Widerspenstigen, erprobten Methoden der Zähmung, analysiert sie die Funktionsweise ihrer spanischen Strafkolonie. Dreißig Jahre danach blickt sie auf sich selbst zurück: auf eine lebenshungrige Neunzehnjährige aus der Provinz, Tochter eines ehemaligen SS-Arztes, die endlich ihre Jungfräulichkeit loswerden will, die in Wien Dolmetsch studiert, das Studium abbricht, mit Erlaubnis der Eltern nach Spanien geht, dort drei allzu nette Verlobte, Fernando, Eduardo, Eusebio, verschleißt, ehe Miguel auftritt, der Erwecker, der Erzieher: »Er wird mich lehren, eine perfekte Dame zu werden, perfekte Frau, perfekte Liebhaberin, kurz, alles was ich in Wirklichkeit gerne wäre.« Das Pygmalion-Muster verkommt bald zum simplen Schema der Abrichtung – mit viel Peitsche und wenig Zuckerbrot. Auch aus den verheißenen Freuden der Sexualität wird nichts: Zuerst gibt Miguel den keuschen Verweigerer, der der weiblichen Lockung standhält, dann den rechtmäßigen Gatten, der das Fruchtgenußrecht an seinem Besitz rücksichtslos exekutiert. Der Traum von der großen Freiheit an der Seite eines Mannes endet für Brigitte im Ehe-Gefängnis, buchstäblich, denn Miguel, der seinen Militärdienst als Offizier leistet, erlaubt seiner Frau nicht, die Wohnung allein zu verlassen, brüstet sich gar damit, ein privates KZ zu leiten. Spanien 1968, das ist quasi (Ober-)Österreich 1968 zur Potenz: Militarismus, machismo, katholische Inbrunst und Erosverleugnung, wahrlich ein merkwürdiges Land, um die Lebenslust zu entdecken, ein gutes freilich für einen tyrannischen Ehemann, der seinen Rücken von der Meinung der Mehrheit gestärkt weiß. Ursprünglich war zwischen den beiden ja nur von Freundschaft die Rede, dann sehr viel von Liebe, es folgten bombastische Briefe des sechs Jahre Älteren, dann bald eine Ernüchterung ihrerseits und der bizarre Plan einer Scheinehe, um ihm einen Gesichtsverlust zu ersparen, eine Abmachung, an die er sich nicht hielt: »keine Liebesgeschichte« eben, »sondern etwas ganz anderes«. Was dieser Miguel Herreros sich an Brutalitäten und Demütigungen, in Worten und in Taten, herausnimmt, ist auch für damalige Begriffe haarsträubend. Brigitte Schwaiger stellt sich der naheliegenden Frage nach der kooperativen Rolle des Opfers: Was hat sie an ihm gefunden? Warum ist sie nicht auf und davon gegangen? Da war die Bewunderung für seine Intelligenz, seine absolute Überlegenheit. Und: »Für niemanden bin ich so wichtig gewesen, niemand ist noch wegen mir bleich geworden, niemand hat noch wegen mir erbrochen, niemand wegen mir so viel geschrien.« Einschüchterung und Erpressung fallen bei der als Frau und Ausländerin doppelt mundtot Gemachten auf fruchtbaren Boden. In ihrem Psychogramm zeichnet Schwaiger den Mann als einen krankhaft Zerrissenen, ja gefährlichen Irren – und sieht ihm dennoch nichts nach: »Einem Mann, der Miguel H. tötet, würde ich jeden Tag das Hemd bügeln.« Was Brigitte Schwaigers Buch über das erhebt, was einschlägig »intimes Bekenntnis« heißt, ist ein Kunstgriff: Sie behauptet nicht einfach, daß dieser Mann bald mit Engelszungen, bald wie ein Folterknecht reden konnte – sie zeigt es. Hier geht es um Herrschaft durch das Wort, darum, jemanden niederzureden. »Quieres que te lave el cerebro un poquito«, fragte er mich immer wieder. »Möchtest du, daß ich dir das Gehirn ein bißchen reinige?« In die Haut ihres Kerkermeisters schlüpfend, führt Schwaiger eine solche rituelle Gehirnwäsche, einen Brüllakt als reinigendes Gewitter, höchst suggestiv vor. Das Spanische hat in diesem Text nicht nur eine ästhetische Funktion: Es ist die Herrensprache, die den Mann als den Lehrmeister auch inhaltlich legitimiert. Die Frau, die diese Sprache liebt und lernen will, hat ihm gegenüber ein natürliches Handicap. Sie erhält eine gründliche Lektion. Dieser Mann redet unentwegt, mit Pathos, mit Feuer, mit Haß, mit sanfter Überredung, er beschimpft, beschwört, bedroht, beruhigt. Schwaiger spricht, ihren ersten Roman zitierend, von einer »Mauer aus Wörtern«, hinter der sie »eingemauert« gewesen sei. Indem sie nun die Suada des Ehemannes rekonstruiert und in ihren eigenen Kontext ordnet, übt sie Rache an ihrem Peiniger, die Rache einer Schriftstellerin: Sie erobert sich die Sprache zurück. »Mein Leben kommt mir wie ein Trog vor, in den ich hineingefallen bin.« Es gibt zwar schließlich einen Ausweg aus der scheinbar ausweglosen Situation, doch er bringt keine Rettung. Auch die 9ab psychischen Spätfolgen des spanischen Intermezzos schildert Schwaiger lapidar und nicht larmoyant. Dem Spanier wirft sie nicht mehr und nicht weniger vor, als daß er ihr Leben zerstört hat. So etwas läßt sich nun einmal nicht subtil sagen. Auch im nachhinein scheint sich der Täter als der Stärkere zu erweisen, hält man doch dem Opfer seine Opfer-Bereitschaft vor. Brigitte Schwaiger entblößt sich hier in einer Weise, der mit rein literaturkritischen Maßstäben nicht mehr beizukommen ist: »An der Bedrohten geht heute jeder vorbei und sagt: Sie ist verrückt. Und damit sind die Prophetien des Drohenden in Erfüllung gegangen.« Wir wissen, hier spricht keine Kunstfigur. Mit ihrem Geständnis fällt Schwaiger aber zugleich aus der Opferrolle und geht in die Offensive. Ihr Mut verdient Respekt, ihr Roman kein Mitleid: Dafür ist er zu gut. *LuK* Daniela Strigl

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