Das Handwerk des Tötens : Roman

Gstrein, Norbert, 2003
Verfügbar Ja (1) Titel ist in dieser Bibliothek verfügbar
Exemplare gesamt 1
Exemplare verliehen 0
Reservierungen 0Reservieren
Medienart Buch
ISBN 978-3-518-41459-0
Verfasser Gstrein, Norbert Wikipedia
Beteiligte Personen Strigl, Daniela [Pseud.] Wikipedia
Systematik 830 - Deutschsprachige Literatur
Schlagworte Schriftsteller, Tod, Belletristische Darstellung, Journalist, Kosovo-Krieg, Recherche
Verlag Suhrkamp
Ort Frankfurt am Main
Jahr 2003
Umfang 380 S.
Altersbeschränkung keine
Sprache deutsch
Verfasserangabe Norbert Gstrein. Daniela Strigl
Annotation Ein Buch und seine Rezeption / Über Norbert Gstreins "Schule des Tötens" Irgendwie kommt es einem wenig vor, was der Suhrkamp-Verlag da an gesammelten Pressestimmen zu Gstreins jüngstem Buch geschickt hat. Da muß doch viel mehr erschienen sein! Und wirklich: Bei genauerem Nachschauen ist keine einzige österreichische Zeitung darunter, dafür der "Mannheimer Morgen" und das "Darmstädter Echo" mit demselben Text. Vor allem fehlt jede ernsthaft kritische Stimme. Also natürlich auch die Besprechung im "Spiegel", in der Barbara Rupp Gstrein unter anderem vorwirft, er habe allzu viele Details aus dem Leben des 1999 im Kosovo erschossenen "Stern"-Reporters Gabriel Grüner verwendet. Solche Schonung hat "Das Handwerk des Tötens" nicht nötig, waren doch die meisten Rezensionen ohnehin nicht bloß freundlich, sondern euphorisch - darunter die der sogenannten führenden Blätter. "Die analytische Form, die Gstrein so meisterhaft beherrscht", meinte Richard Kämmerlings in der F.A.Z., "findet Anwendung auf die schwerste aller Fragen: wie jahrzehntelange Nachbarn plötzlich zu Mördern und Vergewaltigern werden konnten." Und, mit einem feinsinnigen Hinweis auf Joseph Conrad, hebt er den Österreicher in den deutschen Olymp und noch höher: "Mit dem ›Handwerk des Tötens‹ hat er sich endgültig als einer der allerersten Erzähler nicht nur der deutschen, sondern der europäischen Literatur etabliert. Es ist ein tiefer und schonungsloser Blick in das Herz unserer eigenen, noch kaum erhellten Finsternis." Echte Begeisterung spricht auch aus Andreas Breitensteins Urteil in der N.Z.Z.: "Norbert Gstreins Buch umfasst alles, was grosse Literatur ausmacht: Liebe und Wahn, Tod und Erlösung, Figuren, die sich einbrennen und gleichzeitig entziehen. (…) Hinzu kommt die Virtuosität der Sprache, eine Parforcetour indirekter Rede am Rande des Sagens." Gerade daß für Gstrein das "Existenzrecht der Literatur" immer wieder "beglaubigt" werden müsse, rechnet auch Heribert Kuhn ihm in der "Frankfurter Rundschau" hoch an, um ihn dann gleich zum Retter der Literatur an sich zu machen: "Für den Herbst 2003 ist Norbert Gstrein ein Kronzeuge des unausgesetzten Beweisverfahrens für die Notwendigkeit der Literatur." Bernhard Fetz sieht Gstreins Kunst im Wiener "Falter" darin, "die Recherche so voranzutreiben, daß sie sich gegen die Rechercheure richtet, (…) dabei den Journalismus als wichtigstes Medium unserer Welterfahrung mit seinen eigenen Mitteln vor sich her treibend". Dabei gelinge es dem Autor, "die Kompliziertheit der gebrochenen Erzählperspektive in klaren, präzise gebauten Satzperioden aufzufangen", man finde hier, "im Gegensatz zu vielen anderen literarischen und journalistischen Texten" eine "makellose Zeitenfolge". Das Lob gilt also dem Großen wie dem Kleinen, der Aufgabenstellung wie dem Stil. Auffällig ist nur, daß auch die überschwenglich Lobenden etwas einräumen, von dem es abzusehen gelte: "Man könnte dem Roman seine übermäßige Konstruiertheit vorwerfen, die ständige Reflexion der Fußangeln einer vermeintlich neutralen Repräsentation", sagt Kämmerlings und tut das natürlich nicht, erklärt es vielmehr gerade zu seiner "Leistung". "Man mag dem Text einen gewissen formalen Überschuß vorhalten", sagt Breitenstein und tut das nicht, denn der sei eben dem "›Beharren auf dem letzten Zweifel‹ geschuldet". "Der Erzähler kultiviert eine manchmal schon überspannt wirkenden Empfindlichkeit gegenüber Haltungen und Posen", meint Kuhn, ohne das dem Autor anzulasten. Fetz stellt immerhin klipp und klar fest: "auch in seiner reflektierenden Kommentierung kann das Banale banal bleiben. Das Buch ist von manchmal quälender Langatmigkeit." In den grosso modo ablehnenden Rezensionen wird das hier marginalisierte Argument zum entscheidenden: "das ganze Buch über wartet man darauf, dass endlich einer erzählt." (Barbara Rupp) Der zweite Haupteinwand ist ein moralischer, der sich am Vorwurf von Gabriel Grüners Lebensgefährtin orientiert, Gstrein habe hier eine "Abrechnung mit einem Toten" geliefert. Besonders streng geht Roland Mischke im "Rheinischen Merkur" mit dem Autor ins Gericht. Bei seiner Zusammenfassung der Romanhandlung kommen einem allerdings Zweifel, ob er das Buch je gelesen hat: "Erzähler ist der Hamburger Journalist Christian Allmayer, gebürtiger Wiener. Sein Tiroler Freund Paul, ein schwieriger Zeitgenosse, der sich mit Reiseberichten für Zeitungen über Wasser hält und davon träumt, den großen Roman zu schreiben, scheitert an seinem Dilettantismus." Der Ich-Erzähler heißt nicht Christian Allmayer (so heißt vielmehr der ebenfalls aus Tirol kommende Kriegsberichterstatter), er hat gar keinen Namen, und er ist nicht gebürtiger Wiener, sondern seine Eltern stammen aus Wien. "Da erreicht Paul die Nachricht von Allmayers Tod. Er ist bei der Ausübung seines Berufs getötet worden." Wie das, wo doch Allmayer der Erzähler sein soll? Aber es kommt noch besser: "Allmayer erlebt seine Beerdigung mit, hat mit seinem Nachlass zu tun, führt Gespräche mit der Witwe und anderen - und beschließt, Leben und Tod seines Freundes in einem Roman zu verarbeiten." Nicht genug, daß da einer sein eigenes Begräbnis miterleben soll (eine Vision, die die als böse Karikatur durch dieses Buch geisternde Sabine Gruber in ihrem Roman "Die Zumutung" übrigens tatsächlich entwirft), Mischke steht auch sonst neben dem Geschehen. Er wirft Gstrein mit Blick auf Gabriel Grüner vor, er hätte "vor allem kritische Seiten am Kriegsreporter dargestellt, der in Hemingway-Manier an die Balkan-Front zieht, sich bewusst ist, ›die Gefahr gewählt zu haben‹. Das erscheint Paul als ›die möglichst glorreiche Rechtfertigung dafür, nicht zu Hause zu sein, nicht am Schreibtisch, der (sic) Ort, der für ihn vielleicht gefährlicher war, als er sich eingestand‹". Diese Passage bezieht sich aber im Roman gar nicht auf den Reporter Allmayer/Grüner, sondern auf einen Schriftsteller, der sich zu Beginn der Kosovoinvasion mit einem Lokalaugenschein in Szene setzt. Abgesehen von dem intellektuellen Sittenverfall, der sich darin manifestiert, daß einer, der ein Buch attackiert, es gar nicht mehr für nötig hält, es vorher zu lesen: Gstrein macht es sich zu leicht, wenn er jede Rolle im literarischen Schlüsseldienst weit von sich weist. Wer sich oder andere im Roman erkenne, sei "einem Lektürefehler" aufgesessen, ein Autor hafte schließlich nicht für das, was sich im Kopf des Lesers ereigne. Der da seine Hände in Unschuld wäscht, hat aber seinem Buch ein In memoriam vorangestellt: "zur Erinnerung an Gabriel Grüner (1963-1999) über dessen Leben und dessen Tod ich zu wenig weiß als daß ich davon erzählen könnte". Raffiniert, aber doch nicht raffiniert genug. Nun hat Gstrein die tragische Geschichte weder als "Schicksalsreport" ausgeschlachtet noch mit dem Toten "abgerechnet": Sein Bild erscheint differenziert. Aber in Deutschland, wo der Tod des "Stern"-Reporters und eines Photographen großen publizistischen Widerhall fand, werden nicht nur die handelnden Personen, sondern auch viele Leser anhand offenkundiger Parallelen Identifikationsarbeit leisten. In Österreich bieten sich wiederum eher die Mitglieder des literarischen Betriebs zur Überführung an: Enttarnung leicht gemacht. Denn Gstrein zieht nicht nur über Juli Zeh und Susan Sontag her, die er als mediengeile Schlachtenbummlerinnen (in der Nachfolge der durch Karl Kraus berüchtigten Alice Schalek) denunziert - er nimmt auch, ebenfalls ohne Namensnennung, Peter Handke, Rudolf Burger sowie Südtiroler Köpfe ins Visier. Da trägt es wenig zur Entschärfung bei, daß der Autor die bösesten Verdikte dem heil 1b14 los schimpfenden Versager Paul in den Mund legt. Karl Kraus hat die Rolle, in der Gstrein auftritt, die der "verfolgenden Unschuld" genannt. Die Aggressivität dieses doch auch zur Selbstironie begabten Analytikers ist beachtlich und kommt dem hehren Anliegen des Romans, der die Unerreichbarkeit der Wahrheit plausibel machen will, ganz grundsätzlich in die Quere. Vom spanischen Regierungschef Aznar heißt es, er habe eine Begegnung mit dem jüngst verstorbenen Schriftsteller Manuel Vázquez Montalbán peinlichst vermieden, aus Angst, einmal in einem seiner Bücher vorzukommen. Man kann sich gut vorstellen, daß es Gstreins Bekannten ähnlich geht. Den literarischen Argumenten für "Das Handwerk des Tötens", vom skeptischen Ansatz bis zum perfekten Konjunktiv, sei hier ausdrücklich beigepflichtet, ja es sei darüber hinaus noch gerühmt, daß Gstrein, der seine Balkan-Geschichte von einem Deutschen (wenn auch mit Wiener Eltern) erzählen läßt, dem Suhrkamp-Verlag mit bewunderungswürdiger Konsequenz das österreichische Idiom aufs Lektoren-Aug gedrückt hat. Problematisch erscheint mir allein der Umstand, daß ein struktureller erzähltechnischer Mangel vielfach zum bloßen Schönheitsfehler umgedeutet wurde - etwas, was so vielleicht wirklich nur im deutschen Sprachraum möglich ist. In dem heißen Bemühen, Gstreins ideologie- und medienkritische Absicht, seine konstruktive Intelligenz und seinen Mut zum Spröden zu belohnen, hat man beschlossen, über die Kleinigkeit hinwegzusehen, daß sich die Erzählung selbst torpediert, oder halt die Not zur Tugend zu erklären. Die fortgesetzte sprachliche Manöverkritik, die der Erzähler an sich selbst sowie an dem armen Paul betreibt und beide wiederum am noch ärmeren, weil toten Allmayer betreiben, ist auch sprachlich eine Zumutung: Die Dauerskepsis wird zum Manierismus. Jede Aussage wird kommentiert, gewogen und meist für zu leicht befunden, alle Figuren werden in erster Linie auf ihre narrative Tauglichkeit hin untersucht und leiden deshalb an Auszehrung. All die "Banalitäten", "Platitüden", "Gemeinplätze", die da ständig gewittert werden, all das, was da dauernd als "abgedroschen", "naiv", "plakativ", "rührselig" oder "pathetisch" entlarvt wird, hängt an der Geschichte wie ein Bleikorsett. Es ist nicht glaubwürdig, daß immer wieder einer meint, "nicht richtig zu hören", nur weil ein anderer etwas "Schablonenhaftes" gesagt hat, denn gerade mit dem Schablonenhaften rechnen wir ja im alltäglichen Verkehr. Es ist auch nicht nachvollziehbar, daß sich immer wieder jemand das Lachen verbeißen muß, weil ein anderer formulierend danebengreift: "Als er [Paul] dann noch meinte, es sei kein Zufall daß es ausgerechnet einen Bauernsohn aus Tirol erwischt hatte, mußte ich mich zurückhalten, um über die Formulierung nicht laut loszuprusten, so schwülstig war sie." - Glauben wir das? Ist das wirklich schwülstig? Und wenn ja, ist der Mann nicht sehr leicht zu erheitern? Zufällig habe ich nach "Das Handwerk des Tötens" Evelyn Waughs Roman "Der Knüller" ("Scoop") aus dem Jahr 1938 gelesen: Ein britischer Amateur-Journalist wird aufgrund der Verwechslung mit einem Namensvetter in ein afrikanisches Kriegsgebiet entsandt und kommt dort zu einem Exklusiv-Knüller wie die Jungfrau zum Kind. Waugh geht in dieser Satire, der ein Identitätstausch zugrunde liegt (wie bei Gstrein in "Die englischen Jahre"), mit den Gebräuchen der Presse und der von ihr gefälschten Realität wahrlich nicht sanfter um als Gstrein, aber er traut sich zuzugreifen. Er erzählt - was Gstrein, sehr zum Wohl der Geschichte, erst in deren letztem Drittel wagt, als das Ich endlich aus erster Hand und eigenem Erleben berichten darf. Von Waugh war hier nicht die Rede, um einem Heutigen irgendwelche Vorschriften zu machen; obwohl, zugegeben, man fragt sich schon, ob Gstrein, der offenbar nicht weiß, wohin mit seiner aggressiven Energie, da nicht in der Satire besser aufgehoben wäre - wie seine Literaturbetriebsgemeinheit "Selbstporträt mit einer Toten" nahelegt. Gerade der Polemiker Gstrein müßte wissen, daß Keuschheit im Umgang mit dem Realen Utopie bleiben, daß die Begegnung des Schriftstellers mit dem "Aas" Wirklichkeit immer "etwas Hyänenhaftes" haben muß. Wer ins Volle greift, macht sich die Hände schmutzig. Man kann die Bewunderung für die Klugheit des Autors Gstrein teilen, man kann das intellektuelle Vergnügen bei der Rekonstruktion seiner Verspiegelungstechnik genießen - und doch daran erinnern, daß allzu großes Raffinement auch Verkrampfung sein kann. "Wenn ich dich Plot sagen höre, kommt es mir vor, als würdest du von einem Brocken sprechen, der dir im Hals stecken geblieben ist und dich würgt." Das sagt einmal der arme Paul zum Roman-Ich, und wir sehen den Autor angesprochen: keine gute Voraussetzung für einen Erzähler. Ganz privat bin ich davon überzeugt, daß wir die wirklich großen Romane von Norbert Gstrein erst lesen werden, wenn er sich freigehustet hat. *LuK* Daniela Strigl

Leserbewertungen

Es liegen noch keine Bewertungen vor. Seien Sie der Erste, der eine Bewertung abgibt.
Eine Bewertung zu diesem Titel abgeben