Herzfleischentartung : Roman

Laher, Ludwig, 2001
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Medienart Buch
ISBN 978-3-85218-346-6
Verfasser Laher, Ludwig Wikipedia
Systematik 830 - Deutschsprachige Literatur
Schlagworte Nationalsozialismus, Konzentrationslager, Straflager, Arbeitslager, Sadismus
Verlag Haymon
Ort Innsbruck
Jahr 2001
Umfang 187 S.
Altersbeschränkung keine
Sprache deutsch
Verfasserangabe Ludwig Laher
Annotation Zum historischen Hintergrund: (aus der ergänzten Ortschronik von St. Pantaleon) Im September 1940 wurde in St. Pantaleon ein Arbeitserziehungslager der Deutschen Arbeitsfront (DAF) eingerichtet. Die "zur Umerziehung Bestimmten“ - häufig unliebsame Zeitgenossen, derern man sich einfach entledigen wollte - wurden bei der Festnahme nicht über die Gründe ihrer Einweisung informiert, mit ihrem ersten Tag im Lager wurden sie zu wehrlosen Opfern sadistischer Quälereien und Erniedrigung. Als die Misshandlungen und Morde nach außen drangen, kam es sogar zu einer Anklage gegen die Lagerleitung und Wachmannschaft, der Reichsjustizminister erteilte jedoch mit Ermächtigung Hitlers einen Niederschlagungsbescheid. Immerhin wurde das Arbeitserziehungslager Anfang 1941 blitzartig geschlossen. Die Akten und Zeugenaussagen der damaligen Zeit sind vollständig erhalten, die Folterungen und Tötungen sind somit auch heute noch allesamt nachvollziehbar. Nach der Schließung des Arbeitserziehungslagers wurde der Ort zu einem Zigeuneranhaltelager umfunktioniert. Die überlebenden 301 Häftlinge (darunter viele Frauen und Kinder) wurden im November 1941 spärlich bekleidet in Viehwaggons ins Zigeunerghetto Lodz transportiert, von wo keines der Opfer lebend zurückgekehrt ist. "Herzfleischentartung“ ist keine Wortschöpfung des Autors. Der sadistische Terror hat zwar alle Grenzen der Menschlichkeit gesprengt, dabei aber nicht das bürokratische Pflichtbewusstsein der Lagerleitung beeinträchtigt. Auf dem Totenschein und dem Protokoll wurde gewissenhaft eine Todesursuche eingetragen, und nachdem man nicht immer Lungenentzündung und ähnlich banale Begriffe verwenden wollte, findet sich im Sterbebuch bei der Zigeunerin Maria Justina Müller als vorgeschobene Todesursache der Eintrag "Herzfleischentartung“. Im folgenden einige Ausschnitte aus einem Gespräch mit dem Autor Ludwig Laher: bn: "Silberpfeile“, "Ludwigs Zimmer“, "Herzfleischentartung“ - ist es Zufall ist, dass die beschriebenen Orte jetzt in der österreichischen Literatur in das Zentrum der Aufmerksamkeit rücken? Laher: Ich glaube nicht, dass das Zufall ist. Die Entwicklung ist schon einige Jahre alt. Zu den genannten Titeln, die zweifellos in diese Thematik hineingehören, wären auch noch die beiden Bücher von Walter Kohl 3 über die Hartheim-Kontexte zu zählen. Über diesen Lagerarzt Dr. Renno, den Walter Kohl noch kurz vor dessen Tod an seinem Krankenbett begleitet hat und versucht hat, diesen Menschen zu verstehen bzw. nachzuvollziehen, wie dieser Mensch nach so vielen Jahrzehnten in der Erinnerung an damals lebt. Warum jetzt? Wir sind jetzt in einer Phase, wo für den halbwegs exakt recherchiereneden Belletristen unter Mühen der Zugang zu den historischen Akten möglich ist. Es war auch für mich nicht leicht, das Oberlandesgericht Linz zur Einsicht in diese Akten zu bewegen, für die Volksgerichtsprozesse braucht man nach wie vor die Bewilligung dafür. Dazu kommt, dass die noch befragbaren Zeitzeugen jetzt bereits 80 Jahre sind und älter. Man ist also gedrängt, jetzt noch schnell sich zu vergewissern, nachzufragen und in Gesprächen zum Kern der Sache vorzudringen. Bei älteren Menschen, und da besonders bei Frauen, kommen da häufig so verschlüsselte Gesprächsangebote - "Mein Gott, da könnte ich dir Geschichten erzählen, da könntest du Bücher drüber schreiben!“ Ja, und da fragt man dann halt nach, wie das denn damals gewesen sei. bn: Zahlreiche Gespräche, tausende Seiten Akten, Protokolle, Briefe. Dahinter eine schreckliche Thematik. Wie findet man hier zu einer eigenen Form? Sie machen aus der Fülle des Materials ja einen eher knappen und ausgesprochen dichten Text und schlagen dabei einen ganz eigenen, bisweilen auch zynischen Ton an. Um sich damit zu schützen? Laher: Ich habe noch kaum bei einem Buch so schnell gewusst, wie es heißen muss, und es hat sich auch ganz schnell für mich die Struktur herauskristallisiert, diese vier Teile mit ihrem klar festgelegten Themen und ihrem Umfang. Nun zur Sprache. Ich habe mich sehr auf das Thema eingelassen und in der Zeit der Klausur, des intensiven Arbeitens am Text, auch sehr bedrückte Phasen gehabt, habe schlecht wieder hinausfinden können ins tägliche Leben. Diese bisweilen zynische Sprache ist also nicht gewählt, um diese Dinge nicht zu nahe an mich heranzulassen. Ich habe aber versucht, diesen von den Nazis gelebten Zynismus in die Sprache zu legen, in der erzählt wird. Die Entscheidung, dieses Buch zu machen hat auch mit meiner Überzeugung zu tun, dass sich der Schrecken der NS-Zeit nicht über die monströsen Geschehnisse von Auschwitz, Mauthausen usw. vermitteln lässt. In der österreichischen Literatur gibt es Beispiele wie die oben genannten Bücher oder die "Sidonie“ von Erich Hackl, die den Wahnsinn und den Schrecken verständlich machen können und auch nachvollziehbar. Ich merke, dass mit einem Text wie dem meinen mit jüngeren Leuten anders gesprochen werden kann, weil sie sich auch noch eine Neugierde gestatten können, nachfragen können. bn: Ihr Schreiben, Ihre literarische Technik erinnert mich stark an die bildende Kunst, wo man einem Material gegenübersteht, das man gestalten und durchformen muss. So, dass das Material nicht seinen Charakter verliert und dabei dennoch den eigenen Gestaltungswillen zeigt. Aus einem großem Berg von Material wird so ein nicht allzu umfangreicher, dichter Text. Laher: Sie betonen wiederholt, dass der Text mit knapp 200 Seiten relativ kurz ist. Es gehört zu meinen Stilprinzipien, dass ich ein Material, dass für 600-Seiten-Wälzer taugen würde, einfach sehr verdichte und sehr auf den Punkt zugespitzt zu vermitteln suche. Ich bin kein Freund von ausufernden Texten. Ich bin eher Freund einer Präzision, die aber nicht verkürzen soll, sondern die wirklich nur auf den Punkt bringen will. Man kann auch in einem knappen Text einen sehr genauen Blick walten lassen. So ein Thema kann auch nie abschließend behandelt werden, so ein Buch arbeitet weiter. Ich bekomme zahlreiche weitere Hinweise und Materialien und auch viele Reaktionen. bn: Die Vorgangsweise, sich akribisch in historische Figuren und Geschehnisse hineinzuarbeiten und dann mit den eigenen Stilmitteln darzustellen, ist ja auch schon in "Selbstakt vor Staffelei“ und "Wolfgang Amadeus Junior“ ablesbar. Laher: Ja, im Herbst nächsten Jahres kommt noch einmal ein Buch, das in seinem Prinzip nicht unähnlich gearbeitet ist, aber dann mache ich etwas ganz ganz anderes. Etwas wo diese Nähe zur Faktizität nicht gegeben ist. *bn* Reinhard Ehgartner

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